Schmuck und Accessoires - Bestickter Almosenbeutel

Almosenbeutel aus pflanzlich gefärbter Seide
Detail der Stickerei aus pflanzlich gefärbter SeideDetail einer der Quasten mit türkischen Knoten, aus pflanzengefärbter Seide
(ca. 14. - 15. Jhd. (evtl. auch früher))
Der Almosenbeutel, oder auch "aumônières sarrazinoises", "bourse", "gibecière", gipser (nach Chaucer), begegnet uns im 13ten Jahrhundert das erste mal in Regeln der französischen Seidenstickergilden. Obwohl die verwendete Bezeichnung "sarrazinoises" eine Herkunft aus dem arabischen Raum nahelegt, lassen sie sich bereits im 12ten Jahrhundert in Europa nachweisen. Frühere Exemplare aus dem byzantinischen Raum geben jedoch Hinweis darauf, dass es sich tatsächlich um eine Tradition aus dem Mittelmeerraum handelt.
In seiner Namensgebung spiegelt der Almosenbeutel die biblisch gebotene Freigiebigkeit der Christen für Bedürftige wieder, die im Mittelalter in Wort und Bild zahlreiche Entsprechungen findet.
Tatsächlich ist anzunehmen, dass der Almosenbeutel im Mittelalter, das keine Taschen in der Kleidung kannte, Aufbewahrungsort für zahlreiche kleine Dinge des täglichen Lebens war, die oft mitgeführt wurden. Sicher jedoch für Geld, dass den am Gürtel frei hängenden Beutel Ziel für die sprichwörtlichen Beutelschneider werden liess. Im Verlaufe des 14ten Jahrhunderts führte dies offenbar dazu, dass der dekorative, aber auffällige, Beutel zunehmend unter der zweiten Oberbekleidung, dem Surcot, Schaube oder Houppelande getragen wurde.

Besonders viele Exemplare sind uns aus französischer Fertigung erhalten, was zusammen mit den Zunftregeln in Paris, und einigen anderen Hinweisen deutlich machen, dass Paris vor weiteren Zentren der dekorativen Stickerei wie z.B. Köln ein starker Produzent solcher Taschen ab dem 13ten Jahrhundert war. Zu dieser Zeit wird auch zunehmed der "opus anglicanum", der figürliche, englische beeinflusste Stickstil profaner und Minne darstellender Szenen beliebt. Im 14ten Jahrhundert bringt die französische Produktion, die in ihrem Zentrum Paris laut Handelsregistern teilweise über 124 meist weibliche Spezialistinnen beschäftigte, die "nue" genannte Anlegetechnik von Goldlahn, der durch die Befestigungsfäden dekorative Muster bildet, zur Perfektion.
Die Seidenhandwerkerinnen und -handwerker, die in bestimmten Teilen von Paris wohnten und arbeiteten, mussten sich strengen Prüfungen unterwerfen, die eine gleichbleibende Qualität dieses Produkts gewährleisten sollte. Die Berufszweige, die sich oft Läden und Werkstätten teilten, besassen auch hohe Anforderungen an ihre Lehrlinge, und stellten Regeln auf, um Techniken und Material vor Spionen anderer Werkstätten aus anderen Städten zu schützen.

Neben der Möglichkeit, den eigenen Wohlstand durch eine besonders reich gearbeitete Tasche zur Schau zu stellen, zeigen uns Textquellen ab dem 12ten Jahrhundert, dass die oft mit Minneszenen gestalteten Taschen beliebte Liebesgaben waren. Das im höfischen Umfeld stark mit Ruf, Ansehen und Werben verbundene Streben, möglichst aufwändige Geschenke zu machen, begegnet uns in vielerlei Ausprägung im Rahmen der ritterlichen Kultur, die in Frankreich insbesondere im 14ten Jahrhundert besondere Blüte erlangte.
 

Vorlage

Der vorliegende Almosenbeutel wurde aus pflanzlich gefäbter Seide (Indigo, Krapp, Reseda) gefertigt. Als Mustervorlage dienten Stickereien auf Textilien des Halberstadter Domsschatzes (13. - 15. Jhd, siehe auch Fachartikel). Er ist mit zahlreichen Quasten, die zusätzlich mit einem sogenannten "Türkenknoten" versehen sind, verziert. Das Innenfutter und der Rand bestehen aus pfanzlich gefärbtem Seidenstoff.

Legende zu den Darstellungen rechts:
  1. Detail aus dem Stundenbuch von Étienne Chevalier, 15tes Jahrhundert, Frankreich
  2. Detail aus dem Tacuinum Sanitatis, BNF 1673, Frankreich, 15tes Jahrhundert
  3. Detail aus der Bible historiale, Frankreich, 15tes Jahrhundert
  4. Detail aus dem Spielebuch Alfonsos X, 13tes Jahrhundert, Spanien
  5. Detail aus der Grossen Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), frühes 14tes Jahrhundert
  6. Statue des Erzbischhofs Siegfried III von Seppstein, ca. 1249
  7. Detail der Grabplatte von Berengaria von Navarre, 1230, Le Mans, Frankreich
  8. Liturgischer Beutel, usée d'art religieux et d'art mosan, Frankreich, 13tes Jahrhundert
  9. Verschiedene Beutel, weltlich und liturgisch, 14tes Jahrhundert, Deutschland


Herstellung: Myriam Gateault
Verschiedene Darstellungen und Originale, 13. - 15. Jhd
(In unserem Besitz seit 07/2007 / Stand 21.11.2011)
 

Quellangaben

Grabplatte von Berengaria von NavarreGrabplatte von Berengaria von Navarre, Frau Richard I. von England, ca. 1230, Le Mans, Nordwestfrankreich
Statue des Erzbischhofs Siegfried IIIStatue des Erzbischhofs Siegfried III von Seppstein, ca. 1249, befindlich im Mainzer Dom
Spielebuch Alfonso XSpielebuch Alfonso X, handschrift mit Darstellungen verschiedener Spiele, Spanien, 13tes Jahrhundert
Bible historiale, 15tes Jhd.Bible historiale, Frankreich, 15tes Jahrhundert
Tacuinum SanitatisTacuinum Sanitatis, BNF Nouvelle acquisition latine 1673, neu katalogisiert unter BNF Fr 9333, Frankreich, 15tes Jahrhundert
Liturgischer Beutel, Almosen-oder ReliquienbeutelLiturgischer Beutel, Almosen-oder Reliquienbeutel, Stoff. Musée d'art religieux et d'art mosan, Kirche Saint-André, Lierneux. Datiert auf das 13te Jahrhundert.
Roman de la RoseHandschrift des französischen Roman de la Rose (ab 13.Jhd, Hier: Folianten um 1350-60). Der Roman de la Rose ist ein Versroman mit zentralem Minnethema und eines der wichtigsten Werke der französischen Literatur des Mittelalters. Er ist in zahlreichen Manuscripten von 1250 bis 1500 erhalten, und wurde auch später noch gedruckt. Damit hatte er einen massiven Einfluss auf die französische Literatur. Die zahlreichen Miniaturen der einzelnen Manuskripte machen diese zu einer hevorragenden ikonographischen Quelle des französischen Mittelalters. Mehr unter Wikipedia
Seidenbestickte Tasche Seidenbestickte TascheSeidenbestickter Almosenbeutel aus Deutschland, jetzt im Victoria and Albert Museum, England, Katalognummer 8699-1863, datiert auf das 14te bis 15te Jahrhundert. Bildauszug (c) 1995 Timothy Mitchell, im Bestand des Victoria and Albert Museum, London
Almosenbeutel, Frankreich, 1340 (Rückseite) Almosenbeutel, Frankreich, 1340 (Rückseite)Almosenbeutel mit Liebespaar, Frankreich, Paris, 1340. Museum für Kunste Gewerbe Inventar Nr. 56,1237
Almosenbeutel, Frankreich, 1340 Almosenbeutel, Frankreich, 1340Almosenbeutel mit Liebespaar, Frankreich, Paris, 1340. Museum für Kunste Gewerbe Inventar Nr. 56,1237
AlexanderromanDer Alexanderroman, vermutlich ca. 1338-44 in Flandern (aus der Hand des flämischen Illustrators Jehan de Grise und seiner Werkstatt) entstanden, enthält Verse in französischem (picardischen) Dialekt und (ab 1400) Englisch über "Romance of the Good King Alexande" (über Alexander den Grossen), sowie illustrierte Berichte über die Reisen Marco Polos. Es stellt eine hervorragende Quelle für französische Mode um die Mitte- genauer der ersten Hälfte der 40ger Jahre- des 14ten Jahrhunderts dar.
Almosenbeutel aus Köln Almosenbeutel aus KölnBeutel aus Köln, Schnütgen-Museum, Rheinland, 14tes Jahrhundert, mit Bestickung aus Seide, Perlen und Silberstäbchen
Almosenbeutel aus dem RheinlandVerschiedene Almosenbeutel aus dem Rheinland, 13tes und 14tes Jahrhundert
KreuzfahrerbibelDie Kreuzfahrer, oder Maciejowski-Bibel, datiert auf ca. 1244-1254, wurde vermutlich von Ludwig "dem Heiligen" IX. von Frankreich (1214-1270) in Auftrag gegeben und im Pariser Raum angefertigt. Sie stellt ein wichtiges Zeugnis der bildlichen Darstellung von Mode und Sachkultur in Frankreich Mitte des 13ten Jahrhunderts dar.
Heidelberger LiederhandschriftDie Grosse Heidelberger Liederhandschrift, auch genannt "Codex Manesse", oder Pariser Handschrift stellt die bedeutenste und berühmteste Quelle deutscher Dichtkunst des ausgehenden Mittelalters dar. Ca. im Zeitraum 1305-1340 (inklusive Nachtragsmaler) entstanden, zeigt sie in den insgesamt 138 Miniaturen ausserdem historisierend Mode des ausgehenden 13ten Jahrhunderts, sowie Mode der ersten Hälfte des 14ten Jahrhunderts.
Luttrell PsalterDer Luttrell-Psalter, ein ca. 1330-45 in England entstandendes Psalmbuch, ist mit eine der wichtigsten, wenn auch sicher englischen Quellen für Kleidung und Werkzeuge der arbeitenden Bevölkerung im frühen 14ten Jahrhundert.
 

Empfohlene Literatur


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Das Stickereiwerk
Marie Schuette und Sigrid Müller-Christensen, Verlag Ernst Wasmuth
Standardwerk zum Thema Sticken von der Antike bis in die Neuzeit. Zahlreiche Illustrationen und Technikanleitungen
0814318746 (German)
 

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. Codex Manesse .
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Codex Manesse
Ingo F. Walther, Insel, Frankfurt
Die große Heidelbergerliederhandschrift, auch "Codex Manesse" genannt, entstand im Zeitraum 1305-1340 und ist eine der bedeutensten Lyriksammlungen der deutschen Geschichte. In diesem Buch werden nicht nur die Farbtafeln in guter Qualität abgedruckt, sondern auch deren Inhalt und Bedeutung analysiert. Die Lieder selbst sind nicht Gegenstand des Buches.
3458143858 (German).
 

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. Medieval Rural Life in the Luttrell Psalter .
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Medieval Rural Life in the Luttrell Psalter
Janet Backhouse, University of Toronto Press
Der Luttrell-Psalter, ein ca. 1325-45 entstandenes Psalmbuch des Geoffrey Luttrell, weisst eine für den betreffenden Zeitraum ungeheuer reiche Sammlung an Bildern des ländlichen Lebens und der arbeitenden Bevölkerung auf. In diesem Buch analysiert Janet Backhouse Werkzeuge und Methoden des betreffenden Zeitraumes anhand der farbigen Auszüge aus dem Psalmbuch.
0802083994 (German).
 

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