Rüstung und Waffen - Rüstwams

Rüstwams aus Indigogefärbtem Leinen, mit Seidenfütterung
Detail des Rückens mit zentralen KeilenDetail des Schosses
(zweite Hälfte 15tes Jahrhundert)
Mit dem Übergang von der Ringpanzer-basierten Rüstung zum geschlossenen Plattenpanzer im Verlaufe des 14ten Jahrhunderts veränderte sich auch die darunter getragene Kleidung. Bestand die Rüstung bisher aus einer Kombination aus Ringpanzerbestandteilen und Plattenteilen, die zusammen mit einer textilen Torsorüstung (->Aketon) und weiteren textilen Rüstungsteilen (-> Diechlinge) an den Beinen getragen wurden, verlangte der zunehmend körpernahe Sitz der Torsopanzerung (-> Plattenrock , -> Spätgotischer Brust-und Rückenharnisch
) nach einer neuen Basis. Da nun der Torsopanzer, ausser im italienischen Raum, auch immer öfter ohne Ringpanzer darunter getragen wurde, da er in seiner Ausführung gegen die meisten Waffen ausreichenden Schutz, auch vor Wuchtwirkung und Beschuss, bot, war eine mehr oder weniger dicke textile Rüstung nicht mehr notwendig. Es verblieb die Anforderung, einzelne Rüstungsbestandteile auf einen Träger zu befestigen, seien es Teile der Armpanzerung (-> Einfaches knechtisches Armzeug ) oder die Gelenke bedeckendes Ringpanzergeflecht, das direkt aufgenäht wurde (-> Ringpanzerärmel). Diese Funktionen wurden zunächst von zivilen Kleidungsstücken übernommen, im 15ten Jahrhundert sind jedoch in zunehmender Zahl Hinweise auf spezielle Arten der Wämser zu finden, die diese Aufgaben übernahmen.

Die Quelllage

Trotz des erstaunlich genauen Wissens, das wir über spätgotische Panzerung besitzen, ist die darunter getragene Kleidung noch sehr starken Spekulationen unterworfen. Alleine der Begriff "Rüstwams" ist unbefriedigend, zumal er oftmals in Zusammenhängen mit eher als Jacke über dem eigentlichen Wams getragenen Kleidungsstücken verwendet wird. Als ein "Rüstwams" kann ein Wams, also ein die Beinbekleidung haltendes Kleidungsstück für den Oberkörper, mit eingem Sitz, und mindestens zwei Schichten definiert werden, das spezifisch für das Tragen unter dem Krebs (Brust-und Rückenpanzer) konzipiert ist. Von ihm abzugrenzen sind textile Rüstungsbestandteile, die oft pauschalisiertend als "Gambeson" bezeichnet werden, das "Rüstwams" selber besitzt jedoch keinerlei gewollte waffenstoppende bzw. panzernde Eigenschaften.
Textile Panzerungen begegnen uns im deutschen Sprachraum im 15ten Jahrhundert nur noch wenige, obgleich zeitlich im englischen und französischen Raum diese insbesondere bei einfacher gerüsteten Personen oft nachweisbar sind. Die einzig uns bekannten erhaltenen textilien Rüstungsteile, die auch im Zusammenhang mit dem Tragen mit Harnischteilen gebracht werden können, befinden sich in den Museen Lübeck und Stendal, sie weisen jedoch weder Befestigungspunkte für Beinbekleidung auf, noch besitzen oder besaßen sie Ärmel, weswegen sie sich für das Tragen unter einem kompletten Harnisch nicht eignen, und, wie es auch die Bildquellen nahelegen, eher zusammen mit einem daruntergetragenen Wams, und einer aufgenestelten Harnischbrust, sowie Armzeug getragen wurden.
Auch Darstellungen von erkennbar dem beschriebenen Zweck dienenden Kleidungsstücken sind rar, und beschränken sich vor allem auf den nicht-deutschen Sprachraum. Für Harnische italienischer Art sind zumindstens Wämser mit befestigten Nesteln für das Anbringen von einer Armpanzerung nachweisbar, wobei sich hier wiederrum die Frage stellt, wie dies mit den im italienischen Raum oft noch unter dem Harnisch getragenen Ringpanzer vereinbar ist.
In Punkto Textquellen wiederrum ist die Lage etwas besser, und auch detailliertere Beschreibungen vorhanden, jedoch wiederrum nicht für den deutschen Sprachraum.
Wir betonen insofern ausgehend von den vorrangegangenen Einschränkungen hinsichtlich der bekannten Abgrenzungen, dass es sich um hier um eine recht spekulative Rekonstruktion handelt.

Weitere zugehörige Harnischteile in diesem Zeitrahmen

Vorläufer früherer Jahrhunderte

  • Aketon 
 

Vorlage

Wie im Absatz "Quelllage" beleuchtet, ist uns derzeit keine sicheres Bild des unter der spätgotischen Rüstung im deutschen Raum getragenen Kleidungsstückes bekannt. Wir haben uns daher bemüht, auf Basis der verschiedenen Bildquellen, Texterwähnungen und erhaltenen Kleidungsstücke eine plausible Interpretation herzustellen.

Da das Material aus den Bildquellen nicht hervorgeht, wurde entsprechend des Hastings MS. ein robuster Oberstoff, in diesem Falle indigogefärbtes, handgewebtes Leinen verwendet. Aufwändigere Materialien sind denkbar und werden in den Textquellen beschrieben. Entsprechend der selben Handschrift wurde das Wams mit Seide gefüttert ("[...]a dowbelet of ffustean lynyd with satene[...]").
Auf Basis verschiedener Bildquellen (z.B. MS Ottob. lat. 1417) wurde nur der Schoss des Wamses abgesteppt, und zu diesem Zwecke Torso und Schoss aus insgesamt 3 Lagen Leinen gerarbeitet, als Füllmaterial wird analog zu erhaltenen Textilpanzern des 14ten und 15ten Jahrhunderts Rohbaumwolle verwendet (siehe Stendal, Lübeck).
Ebenfalls gemäß einiger Darstellungen wird es bündig vorne mit einer zentralen Nestel bis zu dem kleinen, angesetzten Stehkragen verschlossen. Die Unterarme sined ebenfalls verschliessbar, gemäß deutscher Mode ebenfalls mit einer Nestelschnur. Der resultierende Nahtverlauf befindet sich hinten am Arm, und die Oberarme sind relativ weit und mit einem rückwärtigen Keil vergrößtert ("[...] the gussetis of mayle muste be sowid un to the dowbelet in the bought of the arm[...]") Nestellöcher und Nesteln wurden gemäß der Londonfunde und verschiedener Handschriften hergestellt, letztere auf Basis des Hastings MS. aus gewachstem Leinen ("[...]the armynge poyntis muste be made of fyne twyne suche as men make stryngis for crossbowes and they muste be trussid small and poyntid as poyntis[...]")

(In unserem Besitz seit 05/2010 / Stand 26.07.2012)
 

Quellangaben

Funde von HerjolfsnesIn dem Fundkomplex bei Herjolfsnes, Grönland, wurden zahlreiche Textilien des Zeitraumes 1300-ca.1420 gefunden, womit es eine der bedeutensten Fundquellen für spätmittelalterliche Textilien darstellt.
LondonfundeTextil-, Metall-, Buntmetall-, Holz-, Leder und Schuhfunde aus dem Hafenbecken von London
MS Harley 2320MS Harley 2320, datiert auf das späte 15te Jahrhundert, der British Library. Beinhaltet verschiedene Muster für Fingerschlaufentechnik.
Nestelspitzen im Bestand des KHM WienNestelspitzen im Bestand des KHM Wien, 14-15.Jhd, Messing, dünn und lang, Blech, vernietet, an verschiedenen Textil-und Rüstbestandteilen (Fütterungen von Gestechhelmen u.a.)
Nestelspitzenbefunde aus SüddeutschlandNestelspitzenbefunde aus Süddeutschland, Voralpengebiet, Südbayern. Blech, Buntmetall mit wechselnder Legierung, teils mit Rillenverzierung.
Paltock de Charles de BloisZivile, gesteppte Jacke (Paltock) von Charles de Blois, vermutlich um oder vor 1364 entstanden, heute im Musée des tissus et Musée des Arts décoratifs de Lyon. Seidensamtdamast, Leinenlagern und Rohbaumwollfütterung, abgesteppt (Abstand 35mm). Frontal wie an den Unterarmen mit Knöpfen verschlossen. Innwändig angebrachte Nesteln für geschwänzte Beinlinge.
Nestelspitzen aus LondonNestelspitzen aus Ausgrabungen in London
Tollemarch Book of householdHausbuch der Tollemarch Familie, spätes 15tes Jahrhundert, England, beinhaltet detaillierte Anleitungen zum Fingerschlaufenweben mit zahlreichen Mustern
Unbekannte Fechthandschrift, um 1470Unbekannte Fechthandschrift, um 1470, Einzelfoliant
Zeichnung, Italien, um 1440Zeichnung, Italien, um 1440, Istituto al Gabinetto dei disegni e stampe della Villa Farnesina, Rome, Inv. FN 2818-2833, (fol 2825v)
Wams von Sigismondo Pandolfo III MalatestaWams von Sigismondo Pandolfo III Malatesta, Museo Civico Pinacoteca Fano, um 1430
Le Livre des tournoisLe Livre des tournois, René de Anjou (Illuistrierte Ausgabe: MS Fr 2695), um 1460
Testamente aus York, England, um 1444Testamente aus York, England, um 1444, in: Sur.Soc.30: "[...]A doublet of defense coverid with velvet, an haberon, a swerd[...]"
The Pilgrimage of the Lyf of the Manhode"The Pilgrimage of the Lyf of the Manhode", Pilgr.LM (Cmb Ff.5.30), um 1450: "[...]The doublet is maad with poynynges, For whi it is cleped a purpoynt[...]"
Expenses and Accounts of Sir John Howard"Expenses and Accounts of Sir John Howard", Acc.Howard RC 57, England, um 1463
Paston LettersAuszug aus den Paston Letters (1422 bis 1509), in diesem Fall Passage um 1475: "[...]Sende me a newe vestment off whyght damaske..I wyll make an armyng doblett off it[...]", 5.188
Hrl. 4011Russell Bk.Nurt.(Hrl 4011)
Portrait von Don Inigo de MendozaPortrait von Don Inigo de Mendoza, gemalt von Jorge Ingles
Hastings MS.Hastings MS. [f.122b] "How a man shall be armed at his ease when he shall fight in foot"
Thott 290 2° Thott 290 2°, Königliche Bibliothek Kopenhagen, um 1459, von Hans Talhoffer und Michael Rotwyler
Altarbild aus der Nikolaikirche LüneburgAltarbild aus der Nikolaikirche Lüneburg, von Hans Bornemann, um 1440
Altarbild des heiligen Georg, 1462, NördlingenAltarbild des heiligen Georg, 1462, Stadtmuseum Nördlingen
Ambraesser CodexAmbraesser Codex des Hans Talhoffers, Gräfl. Schloss Königseggwald, Hs. XIX, 17-3, um 1450
Altarbild, 1480-1500, Slowakei Altarbild, 1480-1500, Laurentiuskirche in Revúca, Slowakai
 

Empfohlene Literatur


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. Woven into the Earth: Textiles from Norse Greenland .
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Woven into the Earth: Textiles from Norse Greenland
Else Ostergard, Aarhus Universitetsforlag
Die Neuanalyse der Textilfunde im grönländischen Herjolfnes birgt an sich wenig spektakuläre Neuerungen gegenüber den ursprünglichen von Nordlund, durch die sehr plastischen Fotos der Originalstücke, der beigefügten Schnitte mit Maßen, den Kapitel über Textilverarbeitung in Grönland aber gewinnt das Buch einen ausserordentlichen Reiz für jeden Darsteller mit Interesse an Textilfunden.
8772889357 (German).
 

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. Dress Accessories, c.1150-c.1450 .
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Dress Accessories, c.1150-c.1450
Geoff Egan, Frances Pritchard, Boydell Press
Aus der Reihe "Medieval Finds from Excavations in London" bietet dieses Buch einen faszinierenden Überblick über die Funde mittelalterlicher Gürtel, Schnallen, Nadeln und anderer Accessoirs aus dem Hafen von London.
0851158390 (German).
 

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. Textiles and Clothing , C.1150-C.1450 .
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Textiles and Clothing , C.1150-C.1450
Elisabeth Crowfoot, The Boydell Press
Das Buch zu den Textilfunden aus dem Hafenbecken von London aus der Reihe der Londonfunde bietet neben der Analyse der Textilien interessante Details zur Textilindustrie speziell des 14ten Jahrhunderts in England, und stellt auf Grund der detaillierten Auswertungen der Verarbeitungstechniken, Materialien und Färbungen eine Pflichtlektüre für hoch-und spätmittelalterliche Textilrekonstruktion dar.
1843832399 (German).
 

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Die hoch- und spätmittelalterlichen Buntmetallfunde nördlich der Alpen
Stefan Krabath, Marie Leidorf
Eine chronologisch-kunsthistorische Untersuchung zu ihrer Herstellungstechnik, funktionalen und zeitlichen Bestimmung. Umfassendes Buch für Kleinfunde aus Süddeutschland.
3896463357 (German)
 

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Old english pattern books for loop braiding
Noémi Speiser, Noémi Speiser
Das Standardwerk zum Thema Fingerschlaufenweben (Fingerloop)
 (German)
 

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