Ausflug nach HalberstadtMitte Juli 2005 durfte ich, zusammen mit Claudia Groß aus Dresden, einen kleinen Abstecher zum Dom von Halberstadt machen.
Dort wurde uns von den sehr freundlichen, zuständigen Ansprechspartner die Möglichkeit geboten, für 2 Tage die Exponate des Museums zu begutachten, bzw. die dortigen Textilien.
Für Unterkunft war bereits gesorgt, sowie für eine wunderschöne, musikalische Untermalung durch den in der Hauptkirche übenden Chor.
TeppicheIn dem Nebengebäude des Domes sind 3 Teppiche, datiert auf ca. 1250 und ca. 1350, ausgestellt.
Alle sind Antependien, die aus vielen kleinen biblischen Szenen bestehen. Jeder von Ihnen besteht aus vielen, gleich großen Quadraten, die jeweils eine Bibelszene zeigen.
Da die "normale" Bevölkerung größtenteils nicht lesen konnte, wurde auf diese Weise die biblische Lehre präsentiert.
Claudia und ich nahmen uns also vor, für 2 Tage soviel wie möglich durchzusehen, sticktechnisch zu "zählen" und vor allem zu dokumentieren.
Speziell Claudias Ziel war es, die Randmotive der 1250ger Decke zu übertragen. Ich selbst konzentrierte mich dafür umso mehr darauf, soviele Muster jedweder Natur, wie nur möglich zu zählen, und zu übertragen.
Schon nach einem Tag hatten wir beide in der sehr eigenen Atmosphäre des Raumes schon viel erreicht. Durch die Abgeschiedenheit des Raumes, und der vielen, schweren verschloßenen Türen, die uns von dem Rest der Kirche trennten, kam es mir fast wie in einem Kloster vor. Auch das war also eine interessante Erfahrung.SonderexponateAb und zu sah der zuständige Museumsleiter bei uns vorbei, und zeigte sich von unserer Arbeit, und Bemühungen, sehr begeistert. So sehr, daß er zu unserer größten Freude die nicht veröffentlichten Textilexponate für uns hervorholte.
Im Gedächtnis blieb mir vor allem ein Exponat, ein "Schweißtuch": dies wurde laut dem Museumsleiter an die Stäbe der Kirchenbischhöfe oder jeweils zuständigen Priester gehängt, damit sich diese sich während der Messe die Stirn abwischen konnten. Eines war auf das 14. jahrhundert. datiert, und bestand aus einem hauchfeinen Seidenstoff. Die Farben waren erstaunlich gut erhalten und vor allem unheimlich bunt: Von rosa, über grün, gelb, weiß und hellrot war dieser längs in verschiedenen Dicken gestreift und endete wieder mit einem rosa Streifen. Ein sehr schöner Effekt enstand durch den Kettfaden, dieser bestand vermutlich aus hauchfeinem, silberglänzenden Material, möglicherweise Silberlahn, so daß das Schweißtuch eigtl. ziemlich "modern" erschien.
Weiterhin waren kleine Taschen und Pontifikalhandschuhe, die prachtvoll bestickt waren, dort zu sehen.
Am erstaunlichsten war jedoch ein Stück Seidenstoff. Dieses war ca. 20 x 20 cm groß, und zeigte bizarr geformte Menschengestalten, sowie Füllmuster. Leider konnten wir nicht erfahren, ob diese eingewebt, oder per Seidemalerei aufgebracht waren, aber die Vielfalt der Farben auf kleinstem Raum war bei weitem die kunstvollste Art Stoff, die ich je gesehen habe. Überwiegend waren die Farben rot und schwarz. Der uns betreuende Herr konnte leider lediglich sagen, daß der Stoff auf ägyptischen Herkunft zurückzuführen wäre, und ca. auf das 9. bis 10 jahrhundert zu datieren wäre.
Und wieder einmal wurde mir vor Augen geführt, daß auch nichteuropäische Länder in der Textilherstellung schon wesentlich fortgeschrittener waren, als ich bisher annahm.
Pontifikale Bekleidung
Darüber hinaus nahm ich die Gelegenheit wahr, die dort ausgestellten Mäntel zu begutachten.
Besonders einer, datiert um 1300, fiel mir wegen der aufwendig aufgebrachten Adlermotive sofort ins Auge:
Der Deckstoff des Mantels war aus einem in Köperbindung gewebtem, dunkelblau gefärbten Stoff, das Material konnte ich mit bloßem Auge leider nicht erkennen.
Die Adler an sich waren jedoch aus Goldlahn angefertigt, und dies in einer sehr interessanten Weise, die Brokat ähnelte, und ein sehr schönes, dreidimensionales Aussehen hervorrief.
Wiederum andere Mäntel hatten teilweise Muster wie z. B. Löwen, Hirsche und Centauren, ein anderer war aus Brokat gefertigt, noch ein anderer besaß ein aufgesticktes Rankenmuster. Alle diese Mäntel waren auf das 12te bis 14te Jahrhundert datiert.
Im übrigen wiesen alle Kleidungsstücke einheitlich eine sehr schlechte Nahtverarbeitung auf, so aufwendig und mühsam die Stickereien waren, die Nähte schienen, als wären sie dilletantisch und auf die Schnelle ausgeführt worden.Pontifikalmäntel des 15ten JahrhundertsDie später datierte Priesterbekleidungen waren noch aufwendiger und prunkvoller ausgeführt, bei dieser wurde laut einer uns betreuenden Dame eine spezielle Technik angewandt:
Als erstes wurde auf dem Grundstoff die Figur aufgezeichnet, in diesem Fall z. B. eine Jesusfigur.
Anschließend wurde mit etwas Speichel Brotkrümmel aufgeweicht (um eine Art später aushärtende Gipsmasse zu erzeugen). Diese wurde mit verschiedenen Materialien, die die Brotmasse etwas stabiliseren sollte vermischt, wie z. B. Haare oder Stoffstückchen.
Als nächstes wurde diese Masse auf die vorgezeichnete Figur, je nach späterer Verwendung in verschiedener Dicke, aufgetragen. An den Armen z.B. weniger, am Brustkorb mehr, da dieser mehr hervorstechen sollte.
Der nächste Schritt war, daß eine Schutzschicht, und die letzthin sichtbare Stoffschicht nun grob vorgeschnitten wurde, und provisorisch über die Brotmasse gelegt bzw. befestigt wurde.
Danach wurde die Masse nun zurecht gedrückt, so daß Muskelpartien, und einzelne Finger modelliert werden konnten.
Als vorletzten Schritt wurde die Schutz- und oberste Stoffschicht nun endgültig auf der Masse fixiert, das ganze noch ein wenig geformt und die nun überflüssigen Ränder abgeschnitten.
Zuguterletzt wurden die Ränder des abgeschnittenen Stoffes um die Figur nun dekoriert bzw. verschönert, sei es mit Goldlahn oder Seidengarn.
Einige der Figuren bekamen sogar Haarnachbildungen mit Seidengarn bzw. echtem Haar, oder Metallobjekte entsprechend in Miniaturformat, wurden aufgestickt.FazitUnseren Ausflug kann ich nur als Erfolg bezeichnen:- Claudia konnte ein komplettes Randmotiv übertragen
- Ich konnte ganze 21 Stickmuster, sowie ein Rankenmotiv "zählen", d.h. für das nachsticken erfassen
Mir bleibt für immer eine tiefe Bewunderung für die Geduld, Kunstfertigkeit und Kreativität unserer Vorfahren im Gedächtnis.
An dieser Stelle nochmals vielen Dank an die zuständigen Museumsleiter, daß uns so freundlich empfingen. Vor allem aber vielen Dank an Claudia für die Organisation, und noch viel Spaß beim nachsticken!
Musterbeispiele
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